CAD Modell der Skulptur s24 in der Kunsthalle Wil.
Tragende Strukturelemente der Skulptur s24
Video von Kevin Rechsteiner
Daten & Veranstaltungen
Ausstellung: 7. April bis 12. Mai 2019
Vernissage:Samstag 6. April 2019, 18:00
Künstlergespräch: Mittwoch 17. April 2019, 19:00
Finissage mit Performance: Sonntag 12. Mai 2019
Kuratorinnen: Dr. Gabrielle Obrist und Dr. Claudia Reeb
„S24“
Eine fulminante Referenz an die vor 50 Jahren stattgefundene Mondlandung mit einer massgeschneiderten raumfüllenden skulpturalen Installation.
Saaltext von Dr. Gabrielle Obrist und Dr. Claudia Reeb
Eroberung des Erdtrabanten
Jubel und ausgelassene Freude herrschten am 24. Juli 1969 nicht nur im kalifornischen Kennedy Space Center, sondern in der ganzen westlichen Welt. Erinnern wir uns: Am 16. Juli 1969 startet die Apollo 11 zur ersten bemannten Raumfahrt-Mission mit dem Ziel, auf dem Mond zu landen und ihn vor Ort zu erforschen. Vier Tage später betreten die beiden Astronauten Neil Armstrong und Edwin «Buzz» Aldrin (Michael Collins blieb derweil im Raumschiff) zum ersten Mal die Mondoberfläche, ‹hissen› zum Zeichen ihrer ‹Eroberung› die amerikanische Nationalflagge und senden Bilder zur Erde, die sich damals ins visuelle Gedächtnis der Menschheit einschrieben und es auch heute noch tun. Gebannt verfolgen rund 500 Millionen Menschen weltweit an den TV-Bildschirmen die schwebenden Schritte der Raumfahrer und sind fasziniert vom erhebenden Anblick, den die bläulich schimmernde Erde aus der Ferne bietet. Die geglückte Apollo-11 -Mission der NASA beflügelte den Fortschrittsglauben einer ganzen Generation und gilt bis heute als eine technische und menschliche Meisterleistung.
Projekt «s24»
Ein halbes Jahrhundert später und vor dem Hintergrund der anstehenden Feierlichkeiten scheint der Zeitpunkt ideal, diesem epochalen Ereignis eine Ausstellung zu widmen und hinterfragende Referenz zu erweisen. Bruno Streich kennt sich als diplomierter Maschinenbauingenieur mit real existierenden Raumfahrtstrukturen bestens aus. Seine Raumplastiken sind in akademischer Leichtbauweise konstruiert, genauso wie die Vorbilder. Der Künstler entreisst den Strukturen indes das physikalische Pflichtenheft, verwendet Holz als Baumaterial und gibt ihnen die Schwerkraft zurück, mit dem Ziel, eine eindrückliche skulpturale Prägnanz zu erzeugen. Er lässt seine so beschaffenen Formfindungen oszillieren im Zwischenraum zwischen Form und Funktion. Die von Bruno Streich präzise am Computer konstruierten und errechneten Einzelteile gleichen komplexesten Hightech-Gebilden.
„Meine Skulpturen funktionieren nur im Originalmassstab“
Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Massstäblichkeit seiner Objekte, die sich in ihrer Grösse stets exakt an realen Raumfahrtstrukturen orientieren. Denn der Künstler ist überzeugt, dass die Konstrukte «nur so als Skulpturen funktionieren».
Eigene DNA in die Skulpturen eingearbeitet
Ferner arbeitet der Künstler bei der konkreten Konstruktionsplanung für seine Gebilde immer mit den Proportionen seines eigenen Körpers. Diese lassen sich schliesslich ablesen in Abständen von Spanten, Montageöffnungen und dergleichen. Nur so kann er bewerkstelligen, dass die Skulpturen von ihm vor Ort ohne jedwede Spezialwerkzeuge und allein mit seinem Körpereinsatz zusammengebaut werden können.
Im Zwischenraum zwischen Form und Funkltion
Einmal mehr hat Bruno Streich seine Art des künstlerischen Schaffens eindrücklich mit der raumfüllenden Skulptur «s24» umgesetzt: Das für die Kunsthalle Wil konzipierte Werk, das sich am Kommando- und Service-Modul der Apollo-11-Mission orientiert, sprengt mit seinen 11 Metern Länge faktisch wie visuell die Dimensionen von Türen und Fenstern der Kunsthalle. Bei der ausgestellten Arbeit handelt es sich nicht um ein verkleinertes Modell der drei obersten Teile der Saturn V Rakete, sondern um eine eigenständige echte Leichtbau-Struktur in realen Dimensionen, die der Künstler – in den für Raumfahrtkörper untypischen Materialien Pavatex, Sperrholz, Polyurethan- Kleber und Bootslack – eigens für den Kunstraum in Wil entwickelt hat. Die fachmännische und äusserst präzise Ausführung bewirkt, dass wir das Objekt als authentischen Zeugen der Technik-Evolution wahrnehmen.
Interaktion mit 100-jähriger Technologie
Mit Hilfe eines speziell entwickelten Sensors, welcher auf der über 100- jährigen Theremin-Technologie beruht, ist eine subtile Interaktion der Besucher mit der Skulptur möglich.
Die Skulptur spürt quasi sich nähernde Betrachter und reagiert mit einer Audioantwort. Hier sind es Aufnahmen der Nasa aus dem innenraum des Kommandomoduls der Apollo 11 Mission und Funkgespräche mit Houston.
Naturanalogie im Leichtbau
Typisch für Leichtbaustrukturen, welche in der Luft- und Raumfahrt Verwendung finden, ist deren Naturanalogie. Die symmetrischen Strukturen finden von der Konstruktion her Entsprechungen im Mikro-Organischen, so bei Pflanzen, Klein- und sonstigen Lebewesen, die bereits im 19. Jahrhundert u.a. vom deutschen Mediziner, Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel (1834 –1919) erkannt und untersucht wurden. Solche Naturphänomene interessieren und faszinieren Bruno Streich seit jeher, so es nicht verwundert, dass seine Auseinandersetzung mit dergleichen wissenschaftlichen Analysen und Erkenntnissen in seinen Raumskulpturen als struktureller wie ästhetischer Impuls fruchtbar wird.
Eindrückliche Begegnung
Die Grössendimension des Objekts ermöglicht dem umschreitenden Visavis eine eindrückliche ‹Begegnung› mit dem Erdgeschoss der Kunsthalle per se, mit dem aussergewöhnlichen Monumentalwerk und auch mit sich selbst in Relation zu Gebilde und Raum. Unschwer lässt sich angesichts von Bruno Streichs Skulptur die Begeisterung von vor fünfzig Jahren nachvollziehen: Wir wähnen uns zurückversetzt in die 1960er Jahre, als frenetischer Applaus beim Empfang der Astronauten durch US-Präsident Richard Nixon erklang, als zur Feier Konfetti und Luftschlangen vom Himmel fielen – und wir können die überbordende Freude eines grossen Teils der Menschheit nachempfinden, etwas Grosses, kaum Vorstellbares, ein neues Zeitalter Einläutendes geschafft zu haben.